Vergiss bei all den bisherigen, eher «technischen» Beschreibungen der anatomischen Zusammenhänge nie, dass auch die Psyche des Pferdes Auswirkungen auf seinen Körper hat. Wäre dies nicht so, wäre es ein Leichtes, Haltungsfehler durch Hilfsmittel wie Zügelanzug, Schenkeldruck und Hilfszügel zu beheben. Tatsache ist, dass ein Pferd nicht losgelassen sein kann, solange es nicht auch seelisch im Gleichgewicht ist. Ein unsicheres Pferd schlurft ohne viel Selbstbewusstsein durch die Gegend oder ist ängstlich verspannt. Ein nervöses Pferd rennt davon und kann sich nicht auf den Reiter konzentrieren. Schmerzen verursachen Verspannungen und können ein Pferd in den Wahnsinn treiben – ob sie nun durch den Reiter (fehlerhafter Sitz, grobe Hilfengebung), schlecht sitzende Ausrüstung oder Krankheit verursacht sind.
Denk dran ! |
Du trägst die Hauptverantwortung für die Haltung des Pferdes! |
Sei um einen guten Sitz bemüht, der das Pferd nicht stört. Achte auf korrekte und feine Hilfengebung; Mit Zwang und Kraft verhilfst du dem Pferd nicht zu mehr Wohlbefinden. Oder arbeitest du etwa gern, wenn dich jemand dazu zwingt? Zeig dem Pferd, dass du es magst und dass es dir nicht nur gehorchen muss, sondern dir auch vertrauen kann. Nur ein gesundes, artgerecht gehaltenes Pferd ist glücklich und kann seine volle Leistung zeigen. Sorge dafür, dass es deinem Pferd gut geht. Reite nur mit passender Ausrüstung – Hast du schon mal einen drückenden Schuh angehabt oder eine Unterhose getragen, die dauernd gezwickt hat? Da hast du doch auch nur noch diesen einen Gedanken: Egal was ringsum passiert, du willst das Ding endlich loswerden!
Eine gewisse Rolle spielt auch das Selbstwertgefühl des Pferdes. Schüchterne Pferde neigen eher zu zu wenig Spannung, Schlaffheit. Selbstbewusste Pferde präsentieren sich dagegen gern, was dem Ausdruck und der Versammlung zu Gute kommt – Mitunter wollen sie aber auch ein bisschen zu viel. Das Interessante am Ganzen ist, dass du dem Pferd durch korrekte Ausbildung zu einem besseren Selbstbewusstsein verhelfen kannst. Ein Pferd, das merkt, zu was es fähig ist, und Bewegungen erlernt, die Imponiergehabe nachahmen, wird an Selbstbewusstsein und Ausdruck gewinnen. Genau so kannst du das Pferd aber auch psychisch kaputtreiten, wenn du es dauerhaft in eine schlechte Haltung zwingst und ihm damit alle Ausdrucksmöglichkeiten nimmst.
Denk dran ! |
Die Sprache des Pferdes ist grösstenteils Körpersprache. Die spricht es auch unter dem Reiter. |
Die Haltung, die das Pferd unter dem Reiter
einnimmt, hat Auswirkungen auf seine Bemuskelung.
Bereits am ungerittenen Pferd kann man einiges
über den Reitstil seines Reiters ablesen.
(Unter dem Vorbehalt, dass der Reiter das Pferd
schon seit längerer Zeit reitet. Auch
entwickeln sich nicht alle Muskeln gleich schnell.)
Ausserdem kann man am Aussehen eines Pferdes auch
schon ein Stück weit ablesen, womit es
Schwierigkeiten haben könnte.
Vorsicht bei der Beurteilung von Pferden anhand
von Fotos! Nur wirklich deutliche Bilder
(möglichst mehrere) eines Pferdes lassen eine
einigermassen zutreffende Beurteilung zu. Fotos
können täuschen! Hat etwa ein Pferd auf
einem Foto etwas in der Ferne gesehen, hebt es den
Hals etwas höher und ein Unterhals kann
sichtbar werden. Je nach Lichteinfall ist fehlende
Muskulatur vor dem Widerrist mehr oder weniger
deutlich sichtbar. Fotos von grasenden und
gerittenen Pferden sind zur Beurteilung nicht
besonders geeignet, am besten beurteilt man die
Muskulatur anhand von Bildern im Stehen und ohne
Sattelzeug. Nicht einfach zu beurteilen sind im Übrigen
Pferde mit mächtigen Hälsen (Hengste und
gewisse Rassen, die naturgemäss viel Hals
haben, wie etwa Fjordpferde, Freiberger des alten
Schlags und barocke Rassen) und zu dicke Pferde.
Ein Pferd, mit fehlender Oberhalsmuskulatur und leichtem Unterhals, geht gegen den Zügel. (Bild unten links) Ist der Unterhals stark ausgeprägt, geht es wahrscheinlich deutlich über dem Zügel oder drückt stark gegen die Hand des Reiters. (Bild unten mitte) Ob der Kopf dazu abgeknickt wird oder nicht spielt keine Rolle. Oft hat man den Eindruck, ein Pferd gehe korrekt am Zügel, obwohl dem nicht so ist. Das korrekt gerittene Pferd erkennt man an der schlanken Halsunterseite mit deutlicher Drosselrinne. Der Hals wird zum Mähnenkamm hin dicker. (Siehe Abbildung rechts mit dem Hals eines gut gerittenen Pferdes links und eines Pferdes mit Unterhals rechts im Querschnitt.) Die Muskulatur am Oberhals zeichnet sich gut sichtbar ab. Der Oberhals soll schön gewölbt sein. (Bild unten rechts) Fällt er vor dem Widerrist ein, fehlen dem Pferd fürs Aufwölben des Rückens wichtige Muskeln. (Extremform mittleres Pferd) Es liegt die Vermutung nahe, dass es nicht über den Rücken geritten wird und die Dehnungshaltung nicht kennt.
Das ideale Reitpferd hat einen langen, schlanken
Hals, der oben gewölbt und unten gerade
geformt ist. Das Genick soll leicht sein. Das
bedeutet, dass die Muskulatur seitlich der ersten
beiden Halswirbel nicht zu stark ausgeprägt
sein sollte. Ein schweres Genick führt dazu,
dass das Pferd schwer beizuzäumen,
durchlässig zu machen und zu stellen ist.
Solche Pferde verwerfen sich leicht im Genick.
Pferde mit kurzen, dicken Hälsen haben oft
Schwierigkeiten mit der Dehnungshaltung und sind
daher dann auch nicht leicht an den Zügel zu
reiten. Oftmals neigen sie eher dazu, sich auf den
Zügel zu legen, als nachzugeben. Sie gehen
häufig nicht über den Rücken und
bremsen den Schwung aus der Hinterhand ab. Diese
Halsform trifft man oft bei Ponyrassen und
Kaltblütern an.
Pferde mit zu langen, dünnen Hälsen
hingegen neigen dazu, sich im Hals eng zu machen
und hinter den Zügel zu kommen. Diese Pferde
richten sich gerne zu hoch auf. Häufig
lässt man sich von der Optik des
aufgerichteten Halses täuschen und merkt
nicht, dass das Pferd dabei gar nicht über den
Rücken geht. Besonders bekannt für diese
Schwierigkeit sind etwa die Friesen, deren Hals von
Natur aus schon gebogen ist.
Einen weiteren Blick wert ist die Partie zwischen Schulter und Oberhals. Das Pferd, das seinen Hals korrekt aufrichtet, hat einen harmonischen Übergang von Widerrist/Schulter zum Hals. Beim Pferd, das in einer falschen Haltung geht, ist dieser Bereich hohl, da nicht mit Muskelmasse aufgefüllt. Bei vielen Pferden ist an dieser Stelle sogar ein regelrechtes Loch! (Siehe Abbildung oben von den Hälsen) Hier sei aber noch gesagt, dass gerade diese Muskeln recht lange Zeit brauchen, bis sie voll entwickelt sind. Bei einem jungen (in Bezug auf die Ausbildung) Pferd ist dieser Bereich natürlich weniger gut entwickelt als bei einem alten Hasen. Gut zu wissen: Ein Sattel, der an der Schulter zu eng ist, ist dem Pferd nicht nur unangenehm, er behindert auch das Muskelwachstum.
Die Lage der Schulter bestimmt den Raumgriff des Pferdes. Für ein Dressurpferd wünscht man sich eine lange, schräge Schulter. Kurze, steile Schultern haben eher harte Gänge mit wenig Raumgriff zur Folge. Dafür sind solche Pferde meist sehr trittsicher. Daher trifft man steile Schultern vermehrt bei Gebirgspferderassen an, wo Trittsicherheit eine viel wichtigere Rolle spielte als schwungvolle, ausgreifende Gänge.
Auch der Rücken eines Pferdes kann jede Menge erzählen. Befindet sich hinter dem Widerrist eine flache Mulde (Bild rechts oben), geht das Pferd nicht korrekt über den Rücken. Je grösser die Mulde, desto schlimmer die Fehlhaltung. Auch ein zu enger Sattel führt zu schlecht entwickelter Rückenmuskulatur. Darum ist es so wichtig, dass er passt. Das gut gerittene Pferd hat einen harmonischen, bemuskelten, gleichmässig gerundeten Rücken. (untere Zeichnung)
Pferde mit langen Rücken fallen gerne auseinander. Je länger der Rücken, desto schwieriger ist es, sie zu versammeln. Kurzrückige Pferde haben es leichter mit der Versammlung, gehen dafür oft nicht über den Rücken und haben Schwierigkeiten mit der Dehnungshaltung.
Der Übergang von der Lende zur Kruppe soll harmonisch und rund sein. Nicht gut ist, wenn dieser Übergang deutlich und eckig erscheint. Die Oberschenkel des gut gerittenen Pferdes sind kräftig und rund. Ein Pferd, das ungenügend untertritt und Gewicht aufnimmt, hat flache Oberschenkel. Des Weiteren sollte die Hinterhand etwa gleich stark bemuskelt sein wie die Vorhand. Pferde mit «Superman-Figur» – breite Brust, schmale Hinterhand – wie man sie teilweise im Spitzendressursport sieht, sind ein deutlicher Hinweis darauf, dass der Hinterhandtätigkeit zu wenig Beachtung geschenkt wird, und dass stattdessen durch falsches Training die Muskeln der Vorhand übermässig gekräftigt wurden. (Siehe die abgepauste Grafik rechts)
FN-Verlag, ISBN 3-88542-383-9
Kosmos, ISBN 978-3-440-11010-2
www.sustainabledressage.net
(Auszugsweise Übersetzung auf Deutsch hier)