Bereits im Kapitel Reitlehre
hast du einiges über die Anatomie des Pferdes und
die Folgen daraus fürs Reiten erfahren.
In diesem
Artikel werde ich nun noch ein bisschen tiefer gehen, und
die unterschiedlichen Haltungen einzeln betrachten.
Da es
eine etwas heikle Angelegenheit ist, andere Leute
für Negativbeispiele abzubilden, habe ich zum Teil
auf Beispielfotos verzichtet. An ihrer Stelle findest du
Grafiken, die von Fotos abgepaust wurden. Die
künstlerische Freiheit beschränkt sich dabei
lediglich auf die Farbgebung. Die Haltung der Pferde und
das Muskelspiel entsprechen den Fotografien. Ich erhebe zudem keinerlei Anspruch darauf, dass die Reiter und Pferde in den als positiv dargestellten Bildern das Ideal verkörpern. Die Abbildungen sollen bloss als Anhaltspunkte dienen.
Fangen wir an mit der «natürlichen»
Haltung, die das ungeübte Pferd unter dem Reiter
einnimmt.
Wie schon unter «über den Rücken gehen» angetönt, senkt sich der Pferderücken erst mal unter dem Gewicht des Reiters. Das ungeübte Pferd bleibt mehr oder weniger in dieser Hohlstellung. Hals- und Rückenmuskulatur des Pferdes sind stark angespannt. In dieser Haltung ist das Pferd steif und (abhängig von der individuellen Gangveranlagung) relativ hart zu sitzen – was nicht heissen muss, dass der Reiter aus dem Sattel geworfen wird! Ein festgehaltener Rücken ist bisweilen so bewegungslos, dass man das Pferd ohne Schwierigkeiten aussitzen kann.
Ein verkrampfter langer Rückenmuskel zieht
immer eine schlechte Hinterhandtätigkeit nach
sich. Wie du auf der (vereinfachten) Grafik sehen
kannst, ist der grosse Gessässmuskel mit dem
langen Rückenmuskel verbunden. Das Pferd kann
also nicht optimal untertreten, wenn seine
Rückenmuskulatur verkrampft ist. Umgekehrt
kann der Rückenmuskel auch nicht richtig
arbeiten, wenn der Gang des Pferdes behindert
ist.
Über dem langen Rückenmuskel liegt der
breite Rückenmuskel. Die Bewegungen des langen
Rückenmuskels übertragen sich somit auch
auf den breiten Rückenmuskel. Der breite
Rückenmuskel wiederum ist verbunden mit dem
Oberarm. Ein verkrampfter Rücken behindert
also auch die Schulterfreiheit und somit den
Raumgriff der Vorhand.
Jeder arbeitende Muskel wächst im Laufe des Trainings. Muskeln, die unter Dauerspannung stehen, können sich aber nicht entwickeln. Bei der Arbeit fallen Stoffwechselprodukte an, die über das Blut aus dem Muskel wegtransportiert werden müssen. Das geht nur, wenn der Muskel gut durchblutet ist. Ein korrekt arbeitender Rückenmuskel verkürzt und entspannt sich im Takt des Ganges. Das ermöglicht eine optimale Durchblutung. Der festgehaltene Rückenmuskel hingegen wird sozusagen durch diese Stoffwechselprodukte vergiftet. Er kann nicht wachsen, sondern bildet sich im Gegenteil gar zurück. Solche Rücken sehen dann im Extremfall so aus wie der des Pferdes auf den beiden Fotos hier. Dieses Pferd wurde derart falsch geritten, dass es nicht einmal mehr galoppieren konnte! Je stärker ein Pferd seinen Rücken verkrampft, um dem Reitergewicht auszuweichen, desto schlechter seine Rückenbemuskelung.
Ein Pferd in Hohlstellung geht mit mehr oder weniger hohem Hals. Die Halswirbelsäule (HWS) wird dabei s-förmig zusammengeschoben und verkürzt sich. Die Zeichnung rechts veranschaulicht, was im Hals des Pferdes ungefähr passiert. Der mittlere Teil der HWS hängt nach unten durch, die Halsoberlinie des Pferdes ist angespannt und somit gerade oder nach unten gekrümmt. Zügelhilfen weicht das Pferd meist nach hinten aus, indem es den Hals noch mehr anhebt, oder es geht gegen den Zügel, das heisst, es drückt dagegen. Das Pferd kann nicht im Genick nachgeben, denn die Muskeln an der Halsoberseite ziehen dieses ja nach hinten. In der hohen Halshaltung sind auch die Kiefermuskeln angespannt. Andernfalls würde sich das Maul des Pferdes öffnen. Das Pferd beisst also die Zähne zusammen und reagiert schlecht auf Zügelhilfen.
Einem Pferd, das gegen den Zügel geht, fällt es schwer, sich unter dem Reiter auszubalancieren, und so versucht es, möglichst alle vier Beine auf dem Boden zu behalten. Es geht also mit schleppendem Gang ohne viel Aktion (Anheben der Beine) oder es sucht sein Heil in der Geschwindigkeit und rennt. Du weisst ja sicher selber, dass es einfacher ist, in hohem Tempo das Gleichgewicht auf dem Fahrrad zu halten. Je langsamer du fährst, desto mehr kommst du ins Schwanken.
Die Extremform dieser Haltung ist das Pferd, das
stark über dem Zügel geht. Es wirft den
Kopf hoch und drückt den Rücken nach
unten durch. Mach mal ein ganz stark hohles Kreuz,
dann hast du ungefähr eine Vorstellung davon,
wie unangenehm diese Haltung für das Pferd
sein muss. Stell dir vor, du müsstest auf
diesem hohlen Rücken auch noch einen Reiter
tragen! Eine derart hohle Haltung ist äusserst
schädlich für das gerittene Pferd.
Vielleicht fragst du dich, warum das Pferd dann
überhaupt so eine Haltung einnimmt. Diese
Haltung nehmen dauerhaft fast ausschliesslich Pferd
ein, die starkes Unbehagen im Rücken oder/und
Maul haben. Sie versuchen so, dem Druck zu
entfliehen. Das Pferd auf dem Beispielfoto geht nur
kurzfristig so stark über dem Zügel. Es
wollte auf und davon galoppieren und wehrt sich
hier gegen meine falsch
einwirkenden verhaltenden Hilfen. Ich mache mich «schwer» und reite mit harter Hand.
Der Rücken des Pferdes kann in dieser Haltung
kaum schwingen, die Hinterbeine können
folglich nicht weit untertreten. Das Pferd ist sehr
hart zu sitzen und bekommt wohl auch die Bewegungen
des Reiters ebenso hart im Rücken zu
spüren, da der Rücken keine Bewegungen
mehr abfedern kann.
Auch die HWS des Pferdes hängt durch. Der
untere Teil der HWS sackt ab. Zusammen mit den
Muskeln, die in der hohen Kopfhaltung ebenfalls
nach vorne unten gedrückt werden, ergibt sich
deutlich sichtbar der typische Unterhals. Geht ein
Pferd dauerhaft gegen den Zügel, senkt sich
die HWS ab und der Unterhals ist auch am stehenden
Pferd sichtbar. Im Gegenzug bilden sich die Muskeln
am Oberhals zurück, da sie nicht entsprechend
ihrer Funktion genutzt werden.