«Wozu», fragst du dich nun vielleicht,
«muss man ein Pferd dann noch versammeln,
wenn es doch sein Gleichgewicht unter dem Reiter
wiedergefunden hat?»
Die Versammlung ist für anspruchsvollere
Bewegungen als das reine Vorwärtsgehen
hilfreich. Sie verhilft dem Pferd zu mehr
Leichtigkeit und Bewegungsfreiheit – setzt
aber auch ein gewisses Mass an Kraft und
Gleichgewicht voraus. Im Prinzip ist es
ähnlich, wie wenn du aus dem Stand
hochspringst. Stell dir vor, du spielst
Beach-Volleyball: Wenn du mit gestreckten Beinen
stehst und hochspringst, kommst du nicht sonderlich
hoch und bist immer viel zu langsam. Gute Spieler
gehen ständig leicht in die Knie und stehen
unter einer gewissen Grundspannung. Aus dieser
Haltung kannst du schneller reagieren, höher und weiter springen.
Abgesehen davon ist der Bewegungsablauf harmonischer.
Auf den beiden Fotos rechts siehst du deutlich den Unterschied zwischen einem Pferd, das auf der Vorhand schlurft (Trab), und einem versammelten Pferd (Piaffe, also stark versammelter Trab auf der Stelle). Der Schimmel schiebt mit den Hinterbeinen nur, das stützende Hinterbein steht nicht unter dem Körper sondern hinten heraus. Das Pferd erscheint lang und geht schwunglos. Dieses Pferd müsste zuerst lernen, so zu gehen, wie auf den vorangegangen Seiten beschrieben.
Versammlung beginnt da, wo das Pferd sich ausgehend
von der Arbeitshaltung im Rumpf verkürzt und
die Gelenke der Hinterhand (Hanken) in der
stützenden Phase des jeweiligen Hinterbeins
stärker beugt, sozusagen leicht in die Knie
geht. Durch diese Bewegung wird sein Becken
stärker abgekippt und da dieses, wie schon
erwähnt, mit dem Kreuzbein verbunden ist,
zieht die Beugung der Hinterhandgelenke auch ein
Abkippen des hinteren Rückens nach sich. Der
Rücken wird aufgewölbt.
(Leider ist der
Haflinger auf dem Foto nicht
losgelassen, wie sein Schweif deutlich verrät.
Er ärgert sich, weil er in diesem Moment
lieber losgaloppiert wäre als auf der Stelle
zu traben. Auch wenn man es auf dem Foto schlecht
erkennt: Der Zügelkontakt ist dennoch leicht! Diese Piaffe ist zugegebenermassen aus einer Meinungsverschiedenheit zwischen mir und Marco entstanden. Im Gegensatz zu ihm bin ich kein Piaffe-Profi, er konnte viel schöner piaffieren als hier. Ich halte das Foto dennoch zur Illustration vertretbar, auch wenn die Piaffe nicht perfekt ist.)
Nun gibt es unterschiedliche Möglichkeiten, was man dabei mit der Vorhand des Pferdes macht. Westernreiter belassen den Pferdehals ungefähr in der Position der Dehnungshaltung – wobei Westernpferde meist nicht sehr stark versammelt werden. In den europäischen Reitweisen geht vermehrte Hankenbeugung mit vermehrter Aufrichtung einher. Das ist ein ganz wichtiger Punkt: Je stärker ein Pferd die Hanken beugt, desto höher darf die Aufrichtung im Hals sein.
Merke |
Die Aufrichtung ist ein Ergebnis der Hankenbiegung; Sie ist abhängig davon. |
Das Pferd darf den Hals nur in dem Mass höher tragen, wie es die Kruppe senkt, sonst kommt der Rücken in eine Hohlstellung.
In diesem Zusammenhang solltest du zwei neue Begriffe kennen lernen: Aktive Aufrichtung und relative Aufrichtung. Die relative Aufrichtung ist die Aufrichtung, wie wir sie uns wünschen. Das Pferd richtet sich in dem Mass auf, wie es seine Hanken beugt. (Siehe Fotos oben) Die Aufrichtung steht in Relation zur Hankenbiegung.
Ein aktiv aufgerichtetes Pferd wie auf diesem Foto trägt den Hals hingegen unabhängig von der Hankenbiegung aufgerichtet. Diese falsche Aufrichtung erzwingt der Reiter meist mit der Hand. Das Ergebnis ist nicht ein stärker versammeltes Pferd sondern ein gehöhlter Rücken. Aktiv aufgerichtete Pferde sind oft viel zu stark beigezäumt und werden eng im Hals – zusätzlich zur Höhlung des Rückens wird also auch die HWS zusammengestaucht. Auch bei diesem Pferd erkennst du den hervortretenden Unterhals. Dieses Pferd ist nicht versammelt! Vergleiche die Stellung der Hinterhand und des lasttragenden Hinterbeins mit den vorhin besprochenen Fotos oben: Welchem Pferd ähnelt es mehr?
Merke |
Das Pferd richtet sich in der Versammlung von selber auf. Die Aufrichtung darf nicht vom Reiter erzwungen sein. |
Der Pferdehals darf sich in der Versammlung nicht verkürzen! Das Pferd soll die Wirbelsäule weiterhin strecken, auch wenn es aufgerichtet ist. Das Genick ist der höchste Punkt des Halses. Oft meinen Reiter aber den falschen Bereich, wenn vom Genick die Rede ist. Das Genick befindet sich am Übergang vom Hinterhauptsbein zum ersten Halswirbel – also unmittelbar hinter dem Ohransatz und nicht eine Hand breit weiter hinten. Die Nases des Pferdes muss auch in der Versammlung weiterhin leicht vor der Senkrechten bleiben, sie darf bei starker Aufrichtung sogar ein bisschen weiter vor kommen. Hinter die Senkrechte kommt das Pferd, sobald es die Muskeln im unteren Halsbereich anspannt. Genau diese Muskeln sollen aber stets entspannt sein – auch in der Versammlung.
Halte dir stets vor Augen, dass Versammlung kein absoluter Begriff ist, der beinhaltet, wie stark das Pferd die Hanken beugt und sich aufrichtet. Vielmehr gibt es zig Nuancen von leichter bis starker Versammlung. Wie stark ein Pferd versammelt werden kann, hängt von seinem Ausbildungsstand ab. Ein relativ junges Pferd hat weder die erforderliche Kraft (Lauf mal 100 m mit gebeugten Knien!) noch das Gleichgewicht um sich stark oder über längere Zeit zu versammeln. Je weiter das Pferd in der Ausbildung fortgeschritten ist, desto leichter fällt ihm die Versammlung. Kurze, kompakte Pferde lassen sich zudem leichter versammeln als Pferde mit langen Rücken.
Durch die Hankenbiegung wird die Vorhand frei. (rote Pfeile) Die Tritte des Pferdes werden erhabener, dafür greifen die Beine weniger weit vor. (Aktion statt Raumgriff) Achtung, das Pferd tritt nicht langsamer! Genauso wie es auch in der korrekten Verstärkung einer Gangart nicht schneller tritt. Der Schwerpunkt des Pferdes verlagert sich abhängig vom Versammlungsgrad ein bisschen weiter nach hinten. (grün) So werden beispielsweise schnelle, enge Wendungen auf der Hinterhand ebenso möglich, wie sich ein korrekt versammeltes Pferd in die Levade erheben kann ohne sich mit den Vorderbeinen vom Boden abzustossen – allein durch Gewichtsverlagerung. das Pferd zeigt eine mehr oder weniger deutliche Bergauftendenz. Nach wie vor erscheint die Bauchunterseite des Pferdes kürzer als seine Oberlinie. (gelbe Pfeile) Der Rücken darf sich keinesfalls höhlen. Die Halsunterseite und das Genick bleiben entspannt.
Den Beweis für korrekte Versammlung liefern fliessende Übergänge aus der Dehnungshaltung in die Versammlung und aus der Versammlung zurück in die Dehnungshaltung. Auch fliessende Übergänge von der Versammlung zur Verstärkung und aus der Verstärkung wieder in die Versammlung sollten möglich sein. Das heisst: Im Prinzip sollte es gelingen, aus der Piaffe in die Passage, aus der Passage in den versammelten Trab, aus dem versammelten Trab in den Mitteltrab und aus dem Mitteltrab in den starken Trab überzugehen, ohne dass das Pferd schwer zu sitzen wird, aus dem Takt kommt oder sich auf die Hand legt. Und natürlich geht es auch umgekehrt vom starken Trab bis zur Piaffe zurück. Dass das eine sehr anspruchsvolle Aufgabe ist, versteht sich von selbst. Beim weniger weit ausgebildeten Pferd sind natürlich noch nicht so starke Unterschiede von Versammlung zu Verstärkung möglich. Das Prinzip bleibt jedoch dasselbe.
Versammlung sollte in häufigem Wechsel mit
Dehnungshaltung geritten werden. Die Gefahr, dass
das Pferd sich verkrampft, ist umso grösser,
je länger es in Versammlung geritten wird; Vor
allem, wenn es noch am Anfang seiner
dressurmässigen Ausbildung steht. Du hast es
schon mal gelesen: Ein paar Meter läufst du
schon, wenn du in die Knie gehst. Aber versuch das
mal ein paar Minuten lang! Du wirst auch merken,
dass es um so anstrengender ist, je tiefer du in
die Hocke gehst. Es sollte von da her
verständlich sein, dass ein Pferd um so
schneller ermüdet, je stärker es sich
versammelt. Nicht ohne Grund versuchen viele
Pferde, sich vor der Hankenbeugung zu drücken!
Das ist anstrengender als mit gestreckten Gelenken
zu laufen.
Auch das Training der Muskeln wird durch steten
Wechsel von Spannung (Versammlung) und Entspannung
(Dehnungshaltung) effektiver. Wie anfangs schon
beschrieben, fördert dies die Durchblutung und
damit die Versorgung des Muskels mit Energie
(Sauerstoff) sowie den Abtransport der
Stoffwechselprodukte. Das fördert den
Muskelwachstum mehr als lange andauernde Spannung.
Das Pferd tritt taktmässig und
fleissig. |
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Das Pferd ist losgelassen. |
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Der Rücken ist aufgewölbt. |
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beugen der Hinterhandgelenke in der Stützphase |
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mehr Aktion, weniger Raumgriff |
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Vorhand richtet sich auf |
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gelängter Hals auch in der Aufrichtung |
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Pferdenase eine Hand breit bis zu 45° vor der Senkrechten |
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Das Genick ist der höchste Punkt. |
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weiche, federnde Bewegungen |
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feiner Zügelkontakt |
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Das Pferd kommt jederzeit wieder in Dehnungshaltung zurück. |