Gerade wenn du erst mit dem Reiten angefangen hast, wirst du dich vielleicht fragen, wie lange du wohl brauchen wirst, bis du auch so gut reiten kannst wie andere Reitschüler oder erfolgreiche Turnierreiter. Ob du einmal so gut wirst wie dein Vorbild und wie lange du dafür brauchst, kann dir niemand sagen und ist auch nicht so wichtig. Ich habe dir aber einige Tipps, was du tun kannst, um schneller zum Ziel zu kommen.
Der allerbeste Reitlehrer ist das Pferd. Du musst dir nur die Mühe machen, ihm «zuzuhören» und genau hinzuspüren. Ob es gut oder weniger gut ausgebildet ist, das Pferd ist immer ehrlich. Tut es willig, was du von ihm möchtest? Oder macht es etwas anderes? Spüre immer wieder hin, wie sich das Pferd unter dir bewegt – locker und fliessend oder stockend, hart, eilig – und achte darauf, was du in dem Moment machst. Wie reagiert das Pferd, wenn du deinen Sitz oder die Hilfengebung änderst? Du kannst sehr viel lernen, wenn du scheinbare Fehler des Pferdes nicht als Ungehorsam sondern als Lehranweisungen an dich siehst.
«Wenn man aufmerksame und sensible Pferde will,
muss man auch aufmerksam und sensibel mit ihnen umgehen.»
Fredy Knie Junior
Je häufiger du reitest, desto besser! Gerade ganz am
Anfang ist es sinnvoll, zwei oder drei Reitlektionen pro
Woche zu buchen. Wenn eine Woche oder noch mehr Zeit
zwischen den einzelnen Übungseinheiten vergeht, hast
du vieles von dem, was du beim letzten Mal gelernt hast,
schon wieder vergessen. Und natürlich lernst du in
einem halben Jahr mehr, wenn du zweimal pro Woche
reitest, als wenn du in der gleichen Zeit nur einmal pro
Woche oder noch seltener reiten gehst.
Es muss ja nicht
immer Reitunterricht sein – Wenn du schon besser reiten
kannst, kannst du dir ein Pflegepferd oder eine
Reitbeteiligung suchen und so zu zusätzlichen
Reitgelegenheiten kommen. Beim selbständigen Reiten kannst du für dich üben, was du im Unterricht gelernt hast und musst selber denken, weil keiner in der Mitte steht, der dir Anweisungen gibt. So kannst du überprüfen, was du schon kannst und bestimmt ergeben sich daraus dann wiederum Fragen für deine nächste Reitstunde.
Nimm Reitunterricht bei einer guten Reitlehrerin oder
einem guten Reitlehrer. Viele Fehler bemerkt man selber
nicht. Ein guter Reitlehrer weiss eine ganze Menge
mehr als du und du kannst von seiner Erfahrung und seinem
Wissen profitieren. Gerade wenn du mit deinem (Pflege-)Pferd Probleme irgendwelcher Art hast, ist Reitunterricht
hilfreich. Aber auch wenn scheinbar alles in Butter ist,
schadet guter Reitunterricht nicht.
Leider ist es oft nicht so einfach, einen guten und bezahlbaren Reitlehrer zu finden. Ich weiss aus eigener Erfahrung, dass sich nicht jeder Reitunterricht leisten kann, wie es ihm gerade passt. Wenn du etwas auf deinen Geldbeutel achten musst, ist es sinnvoller, z. B. nur alle 14 Tage statt einmal die Woche in die Reitstunde zu gehen, wenn dafür der Unterricht gut ist. Schlechter Unterricht, auch wenn du ihn dir häufiger leisten kannst, bringt dich nicht weiter. Er kann sogar mehr schaden als nützen.
«Es gibt keine dummen Fragen, sondern nur dumme
Antworten» stand in einer meiner früheren Reitschulen
in der Stallordnung und das solltest du
dir auch zu Herzen nehmen. Wenn dir in der Reitstunde oder
in einem Sachbuch irgendetwas unklar ist oder
dich einfach so interessiert, frag deinen Reitlehrer! Dafür ist er schliesslich da.
Du bist nicht dumm, wenn du etwas nicht verstehst, was er
gerade ausführlich erklärt hat, sondern er hat
es zu kompliziert erklärt. Du blamierst dich auch
nicht vor den übrigen Reitschülern und Zuschauern, wenn du eine Frage
stellst. Vielleicht haben sie nämlich selber auch
nicht verstanden, was der Reitlehrer gesagt hat, aber sie
trauen sich selber nicht zu fragen.
Einem guten
Reitlehrer ist daran gelegen, dass seine Schüler
verstehen, was er meint und er wird sich bemühen,
dir deine Fragen zu beantworten. Vielleicht freut er sich
sogar, wenn du nachfragst, denn das zeigt, dass du dich
wirklich fürs Reiten und Pferde interessierst. Ein Reitlehrer, der seine Reitschüler keine
Fragen stellen lässt, hat wahrscheinlich Angst, er
könnte etwas nicht wissen oder nicht ausreichend
begründen. Ein kompetenter Ausbilder wird keine
Fragen scheuen.
Oft scheint es mir, Reitschüler
nähmen sich diesen Spruch zu sehr zu Herzen. Die
Reitlehrerin hält einen Monolog und manchmal
kann sie schon von Glück reden, wenn sie auf eine
Frage ein undeutliches Kopfnicken bekommt. Reitlehrer
beissen nicht! Du kannst deiner
Reitlehrerin entscheidend helfen, wenn du auch mit deiner
Stimme ein bisschen mitarbeitest. Antworte laut und
deutlich auf ihre Fragen. Rede wirklich laut, denn in
einer grossen Reithalle oder auf einem Aussenplatz
versteht man dich sonst kaum. Gib ihr zu verstehen,
dass ihre Anweisungen bei dir angekommen sind, indem du
ihr z. B. mit einem «ja» oder
«verstanden» antwortest. Manche
Reitschüler versinken nämlich ab und zu in eine
derart tiefe Konzentration (oder manchmal auch in einen
Tagtraum …), dass man sich als Reitlehrer absolut
nicht sicher ist, ob sie überhaupt zugehört
haben.
Sage es deiner Reitlehrerin auch, wenn sie etwas
wiederholen soll, oder wenn du ein Problem hast, ihre
Anweisung auszuführen. Wie schon gesagt: Das Pferd ist der beste Reitlehrer und wenn der gerade etwas anderes sagt als die Reitlehrerin, solltest nachfragen. Vielleicht fällt dir
auch auf, dass an deinem Pferd heute irgendetwas anders
ist als sonst, deine Steigbügel sind ungleich lang,
du möchtest mit diesem Pferd lieber nicht
galoppieren oder dein Pferd weicht in einer bestimmten
Ecke immer nach innen aus … Egal was los ist,
melde dich zu Wort. Gerade wenn mehrere Reiter in der
Bahn sind, kann deine Reitlehrerin unmöglich ihre
Augen überall haben und manches bekommt man vom Boden
aus auch nicht deutlich genug mit, um es zu bemerken. Etwa
dass du eigentlich dringend aufs Klo musst oder dass du wegen der Hitze
nächstens vom Pferd kippst.
Auch als Zuschauer kannst du viel lernen. Schau dir andere Reiter an. Wie sitzen sie, welche Hilfen geben sie und wie reagieren ihre Pferde? Welche Übungen reiten sie und warum? Wann wehrt sich ein Pferd oder zeigt Unwohlsein? Woran könnte es liegen, dass ein Pferd besonders willig und freudig mitarbeitet?
Wenn du ehrlich daran interessiert bist, warum jemand etwas auf eine bestimmte Art macht, die dir vielleicht seltsam vorkommt, darfst du sicherlich nach dem Training nachfragen.
Aber Vorsicht: Bitte bleib respektvoll. Oberflächliche Fehlerguckerei ist einfach und selber weiss man sowieso immer alles viiiel besser. Die meisten Reiter reiten nach ihrem besten Wissen und Können, auch wenn «gut gemeint» und «gut» manchmal zwei verschiedene Paar Schuhe sind. Bitte halte dich mit Kommentaren zurück, wenn du nicht darum geben wurdest. Gemeine Lästertanten auf der Tribüne mag keiner. Viele Reiter wissen selber, dass sie noch lange nicht am Ziel sind. (Bist du es?) Höflich ist es, kurz zu fragen, ob es okay ist, wenn du zuguckst. Und wenn du am Ende ein ehrliches Lob übrig hast, wird sich der oder die Beobachtete sicher freuen.
Du hast kein eigenes Pferd und auch kein Pflegepferd, mit
dem du ausserhalb der Reitstunden üben
könntest? Macht nichts, auch dann kannst du mehr
für dein reiterliches Können tun, als nur in die
Reitstunde zu gehen! Gerade für die klassische
Reitweise gibt es eine Menge Literatur. Es ist wohl die einzige Reitweise, der eine
derart gründlich aufgeschriebene und reglementierte Reitlehre zu Grunde liegt. Es
gibt z. B. eine «Skala der Ausbildung», die
genau festlegt, was ein Pferd wann lernen soll und worauf
es dabei ankommt, und wie du vielleicht schon festgestellt hast, wird auch der Reiter bei den
ganzen Anweisungen nicht ausgelassen.
Das Einhalten dieser Richtlinien ist das Eine –
Verstehen das Andere: Informiere dich in Büchern
über die Skala der Ausbildung, Pferdeverhalten (ja,
auch das kann dir beim Reiten nützen!) und die
Reitlehre. Es gibt einige sehr gute Bücher, in denen
genau erklärt wird, wie du einen losgelassenen Sitz erreichst,
warum du deine Hände aufgestellt halten sollst und
was passiert, wenn du nicht locker in diesem oder jenem
Gelenk bist, aber auch, wieso die Hilfen für eine
Wendung genau so gegeben werden und nicht anders oder in
welchem Moment du welche Hilfe geben musst. Reiten ist zu
einem grossen Teil auch Denksport. Ich habe einige Buchempfehlungen in den Buchtipps zusammengestellt.
Wenn wir etwas lernen, müssen wir zuerst die Einzelheiten eines Ablaufs kennen und verstehen, und begreifen, warum etwas so ist, wie es ist. Wenn uns etwas einleuchtet, dann vergessen wir es auch nicht so schnell wieder und bemühen uns eher, die Sache richtig zu machen, als wenn wir hinter einer Korrektur des Reitlehrers eine blosse Schikane sehen. Und manch ein Lichtaufgehen beim Studieren eines Buches hat schon zu einem grossen persönlichen Fortschritt geführt!
Wie wäre es, wenn du selber ein Heft oder einen Ordner führen würdest, in dem du interessante Artikel aus Zeitschfriften usw. sammelst und deine eigenen Überlegungen und Erkenntnisse aufschreibst?
Theorie muss keineswegs grau und unverständlich sein! Es gibt interessant geschriebene Bücher für alle Altersstufen, sowohl für Menschen, die eher technisch denken als auch für solche, die das Reiten mehr über das Gefühl angehen. Und es erwartet auch niemand von einem Anfänger, dass er ein Buch liest, indem bis zum kleinsten Detail Knochen und Muskeln von Pferd und Reiter und deren Zusammenspiel beim Reiten beschrieben werden. Informiere dich zuerst über die Grundlagen und vertiefe später dein Wissen.
Ganz klar, mit Trockenübungen wirst du kaum lernen, dich auf einem Pferd in Bewegung zu halten und eine Bewegung, die man auf dem Trockenen korrekt ausführt, klappt noch nicht gleich auch auf dem Pferd. Zum Lernen können Trockenübungen jedoch sinnvoll sein. Wenn du z. B. ein Buch über die Anatomie des Reiters liest, wird dir oft vorgeschlagen, an deinem eigenen Körper dieses oder jenes Gelenk zu ertasten oder eine bestimmte Bewegung auszuführen. Genau das solltest du auch tun, denn: «Doppelt genäht hält besser!» Sprich: Wenn du mehrere Lernkanäle nutzt, also nicht nur mit den Augen liest, sondern auch noch mit deinem Körper spürst, hast du gleich doppelt gelernt und wirst weniger schnell wieder vergessen.
Aber Trockenübungen sind nicht nur dazu
gut. Du wirst in der Reitschule oft nicht die Gelegenheit
haben, einen neuen Bewegungsablauf so oft zu üben, bis du ihn
«im Schlaf» beherrschst.
Nehmen wir als Beispiel eine Wendung: In der Reitstunde
hast du gelernt, dass der äussere Schenkel
zurückgehen soll, das innere Bein am Gurt treibt, du
den äusseren Zügel stehenlassen sollst und
gleichzeitig sollst du auch noch … Ein bisschen
viel auf einmal und dann sollst du das meistens auch noch
gleich so ausführen. Wahrscheinlich hast du einen
Teil der Anweisungen schon wieder vergessen oder gar
nicht mehr mitbekommen, weil du noch dabei warst, dir zu
merken, wo das äussere Bein hin soll, als die
Reitlehrerin schon vom Zügel sprach. Trotzdem
möchtest du dich in der nächsten Stunde nicht
blamieren, wenn du eine korrekte Wendung reiten sollst.
Was tust du da bloss?
Nachdem du dich zuhause oder nach
der Reitstunde noch einmal in Ruhe darüber
informiert hast, was eine Wendung alles beinhaltet,
suchst du dir irgendetwas, das auch nur die entfernteste
Ähnlichkeit mit einem Pferd hat und an dem sich
evtl. sogar ein provisorisches Paar «Zügel» befestigen
lässt. Es bietet sich vieles dafür an: Hocker,
Sofalehne, Baumstämme, Findlinge, Leitern,
Sitzbälle, Mauern, Kisten … Vielleicht hast
du sogar einen richtigen Sattel, den du benutzen kannst
oder du bastelst dir einen aus Kissen und Schnüren?
Auf diesem Ersatz-«Pferd»kannst du nun in
Ruhe alle Einzelheiten einer Wendung üben. Zuerst
übst du vielleicht, wie du dein äusseres Bein
korrekt zurücklegen sollst. Später nimmst du
das innere Bein hinzu, dann noch die Gewichtshilfen, die
Zügelhilfen … und irgendwann, weisst du nicht
nur, wie die Bewegung geht, sondern du kannst sie auch
ohne nachzudenken ausführen: Du denkst nicht mehr:
«Äusseres Bein zurück, inneres treibt am
Gurt, äusserer Zügel …» sondern du
beschliesst nur noch, eine Wendung zu reiten und
reitest sie ganz einfach.
Auch Satteln und
Zäumen kann man trocken üben. Du ersparst damit
auch deinem Schulpferd eine unangenehme
Behandlung.
Du kannst dir den korrekten Sitz und die
Unabhängigkeit aller Körperteile erheblich
erleichtern, wenn du etwas für deinen Körper
tust. Besonders Dehnübungen können sehr
sinnvoll sein. Finde heraus, welche Muskeln bei dir
verkürzt sind und Dehnung nötig hätten.
Besonders betroffen sind meist Brust- und
Schultermuskulatur sowie die Waden- und Hüftmuskeln.
Es gibt eine ganze Menge Dehnungsübungen. Manche kennst du vielleicht schon aus dem Sportunterricht in der Schule, einige findest du unter Fit
fürs Reiten.
Die Übungen werden dir nicht
nur beim Reiten nützen. Auch im Alltag kommen dir
geschmeidige Muskeln zugute. Ich persönlich
fühle mich total steif und verkrampft, wenn ich
längere Zeit keine Dehnübungen mache und
bekomme sogar Rückenschmerzen. Achte beim Dehnen
aber darauf, nicht zu wippen, denn dann können
Muskelfasern reissen und der Muskel wird noch fester
statt geschmeidiger und wärme dich vor dem Dehnen
ein bisschen auf.
Nicht nur Dehnübungen sind gut. Auch Balance- und Koordinationsübungen können dir fürs Reiten nützen. Sei dies Yoga oder geschicklichkeitsförderndes «Spielzeug» wie z. B. ein Einrad, Pedalos und was es sonst noch alles gibt, Jonglieren oder spezielle Übungen, die unabhängiges Bewegen unterschiedlicher Körperteile erfordern. Du kennst diese Übungen sicher auch: Man macht beispielsweise mit einer Hand Kreise vor dem Bauch und mit der andern «schlägt» man sich im Takt auf den Kopf. Oder mit einer Hand malst du ein Dreieck in die Luft und mit der anderen einen Kreis oder ein Quadrat. Am Anfang ist das ganz schön vertrackt, aber irgendwann hast du den Bogen raus, und du kannst eine neue Bewegung ausführen. Auch drausen herumrennen, klettern usw. – all das, was man als Kind gerne macht – fördert Gleichgewicht, Bewegungsgefühl und Geschicklichkeit, die dir wiederum beim Reiten zugutekommen.
Besonders wichtig ist es, dass du auch im Alltag auf eine gute Haltung und gleichmässige Belastung des Körpers achtest. Beobachte dich und du findest wahrscheinlich heraus, dass du dich fast immer auf demselben Arm oder Bein abstützt, immer das gleiche Bein über das anderes schlägst … Wann immer du das merkst, wechsle die Seite und nimm den anderen Arm oder das andere Bein. Es geht meistens nicht lange und dein Körper wechselt wieder zurück, ohne dass du es bewusst merkst.
Führe ein Trainingstagebuch, in dem du festhältst, was in den Reitstunden (und auch beim selbständigen Reiten) gut war, was du gelernt hast, und was du verbessern möchtest. Es ist nicht nur interessant, im Nachhinein zu lesen, was man schon alles für Fortschritte gemacht hat, du steckst dir mit dem Trainingstagebuch auch Ziele, die dich motivieren und an denen du dich orientieren kannst. Ich habe eine Vorlage eines solchen Tagebuches erstellt, die du dir herunterladen und ausdrucken kannst: Zum Download.